Geschichte

Um die Verbundenheit der ehemaligen „Spanierkinder“ des Clubs zu Spanien und ihren Pflegefamilien zu verstehen, bedarf es einen kurzen Blick in die Vergangenheit beider Länder.

Einleitung

Heutzutage wäre eine derartige Aktion absolut unmöglich. Viele Aspekte spielen - abgesehen von den Sicherheitsmaßnahmen - eine wesentliche Rolle, wie beispielsweise der psychologische Aspekt und die Beweggründe Kinder in ein fernes Land zu schicken. Auch der damit verbundene Schmerz bei der Verabschiedung sowohl bei den Kindern, wie auch den Eltern muss berücksichtigt werden. Heute leben wir in einer globalisierten Welt und sind durch soziale Netze weltweit verbunden. Wir kennen exotische Früchte und wissen, wie man sie schälen muss. Doch 1949 war es ein „Abenteuer“ – der Aufbruch in eine neue, unbekannte Welt.

Vorgeschichte

Die wirtschaftliche Lage unmittelbar nach Kriegsende war in Österreich katastrophal, denn durch die Kriegszerstörungen waren die Infrastrukturen größtenteils zerstört.
Der Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung und die Mangelernährung führten bei einem Großteil der Bevölkerung zu bedenklichen gesundheitlichen Schädigungen.
Besonders betroffen waren Säuglinge, Kinder und ältere Menschen. Bereits ab November 1945 wurden durch diverse Organisationen, wie dem Schweizer Roten Kreuz und den schweizerischen Pfadfinderverbund österreichische Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren zu dreimonatigen Aufenthalten bei Schweizer Familien sowie in Erholungslager eingeladen. Wenig später war diese prekäre Situation für viele Staaten die treibende Kraft humanitäre Initiativen zu ergreifen und so verließ der erste Kindertransport 1949 Wien in Richtung Spanien.

Datum: Februar 1949
Ziel: Santander

Der erste Transport österreichischer Kinder fand am 20. Februar 1949 statt. In dem Zug, der von Wien nach Irún fuhr, befanden sich drei Inspektoren, die von Caritas Austria ernannt wurden, um die Kinder während der gesamten Reise zu koordinieren und zu unterstützen. Die Begleitpersonen dienten als Übersetzer für die Kinder und kümmerten sich um sie, bis sie an Gastfamilien übergeben wurden. Das vorliegende Zeugnis ist das eines dieser drei Begleitpersonen. Ihre Geschichte zeigt von großartigem Mut, die Reise der Kinder aus der Perspektive eines Erwachsenen zu verstehen. Ich weiß, dass Sie Näheres über meine Eindrücke erfahren wollen, die ich auf meiner Reise nach Spanien im Jahr 1949 gesammelt habe. Der Zufall hatte mich dahin geführt, die Aufgabe einer Betreuerin jener österreichischen Kinder auszuüben, die in dieses Land durch die Vermittlung von Caritas und Acción Católica in Spanien gesandt wurden.
Glück und Zufall dürften es gewesen sein, die mich zu dieser Mission geführt haben, eine Gelegenheit, die mich unerwartet traf. Niemals hätte ich daran gedacht, wieder einmal nach Spanien zu kommen, wenige Jahre nach Kriegsende.
Aber wie so oft: Unverhofft kam es ganz anders bis zur Rückkehr an den Ausgangspunkt. Es war viel geschehen. Wenn ich vorher gewusst hätte, wie sich alles in der Praxis abspielen würde, hätte ich möglicherweise diesen Dienst nicht angetreten. Die Aussicht, wieder nach Spanien zu kommen, war für mich sehr verlockend. So stellten die Beschaffung von Pass, Visa und sonstigen Dokumenten die geringsten Schwierigkeiten für mich dar. Ich habe nicht einen Moment gezögert. Außerdem eröffnete mir diese Reise die Möglichkeit, meine geliebte Pflegemutter nach zehn Jahren wieder zu sehen, sowie Freunde und Bekannte in Barcelona zu treffen. Als man schlussendlich mit Sicherheit wusste, dass der erste Transport der österreichischen Kinder Mitte Februar erfolgen sollte, packte ich meinen Koffer fertig.
Ich nahm damals an, dass ich Ende des Jahres wieder zurück sein würde. Doch dann stellte sich heraus, dass der Aufenthalt in Spanien viel länger dauern würde, als angenommen. Aber es war gut. Am Tag der Abreise versammelten wir uns am Bahnhof, der Direktor der Caritas, Peter Malzen, unsere drei Inspektorinnen, einige Aussichtspersonen, die uns bis zur spanischen Grenze begleiten würden und 500 Kinder.
Aufgeregt und unruhig beobachten wir die Zusammenstellung der Eisenbahnwaggons und fieberten dem Zeitpunkt entgegen, endlich in den Zug nach Spanien einsteigen zu dürfen. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte zurückbleiben müssen, denn, stellen Sie sich vor, ich hatte meine Identitätskarte zu Hause liegen gelassen. Ich dachte, wenn ich einen gültigen Reisepass besitze, würde ich dieses Dokument nicht benötigen. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass bei der Überschreitung der Demarkationslinie russische Kontrollorgane möglicherweise genau dieses Dokument verlangen könnten. Ich bekam einen ordentlichen Schrecken! Die Vorsehung erbarmte sich jedoch meiner in Form einer Tante meiner Freundin Inge, die anwesend war und mir sofort anbot, mir ihre Identitätskarte auszuborgen. Obwohl alle meinten, dass wir uns ähnlich sahen, fand ich keinerlei Ähnlichkeiten zwischen uns. Die Frau war groß, hatte dichtes dunkles Haar, und ich war das ganze Gegenteil von ihr. Ich versuchte so gut es ging, mich dem Foto von Frau Fulana, der Tante meiner Freundin Inge, anzupassen. Vielleicht können Sie sich vorstellen, in welchen Gemütszustand ich war, als wir uns der Demarkationslinie am Semmering näherten.

Zwecks Registrierung stiegen Russen in den Zug. Ich verzog mich mit einem mitgebrachten Märchenbuch in eine Ecke nahe dem Fenster des Zugsabteils. Gut ein halbes Dutzend Buben scharten sich um mich, so, als würde ich ihnen aus dem Märchenbuch vorlesen und schirmten mich dadurch einigermaßen vor neugierigen Blicken ab. Ich bekam mit, das im gegenüberliegenden Abteil Prinzessin Juana de Bourbon gerade befragt wurde, warum sie mit einem spanischen Pass reise. Bange Minuten verstrichen und in einem besonders kritisch erscheinenden Moment stellte ich erleichtert fest, dass sich die russischen Kontrollorgane einer nach dem anderen aus dem Zug entfernte, ohne die Kinder und mich auch nur zu beachten. Mir fiel ein Stein vorm Herzen, als sich der Zug endlich wieder in Bewegung setzte und die Reise weiterging. Wir verbrachten fast zwei Tage und zwei Nächte ohne Aufenthalt im Zug. Es ging vorbei an Norditalien, entlang der gesamten Cote d`Azur. Nur für kurze Zeit für die Aufnahme von Wasser und Kohle, sowie einem Lokomotiven-Wechsel wurde angehalten. Wir führen Proviant mit uns und in Mailand wurden die Kinder mit heißen Getränken bewirtet. Bald darauf durchquerten wir den südlichen Teil von Frankreich mit dem Ziel Lourdes, wo wir alle zum ersten Mal den Zug verlassen konnten. Eine endlose Reihe formierend, bewegten wir uns zur Grotte der Jungfrau, um sie um ihren Schutz zu bitten und einer Messe beizuwohnen. Nach der französisch gehaltenen Ansprache des Rektors von Lourdes wurden wir mit einer Jause bewirtet und bestiegen anschließend wieder den Zug. Bis zur Grenze nach Irún war es nicht mehr weit. Es war ca. 8 Uhr Abend am dritten Reisetag. Immer wieder wurden wir von den Buben gefragt:
Tante, sind wir schon in Spanien?
Wann werden wir ankommen?
Irún! Wir stiegen alle mit unseren Gepäcksstücken aus dem Zug. Im großen Saal eines Restaurants erwarten uns bereits die Autoritäten der Acción Catolica und der Auxilio Social. Für die Kinder wurden lange Tische vorbereitet, es gab guten Kaffee, Brötchen und die ersten Bananen und Orangen. Man muss die Gesichter der Kinder gesehen haben! Mit Genuss bissen sie in die wohlschmeckenden Früchte, besonders die Orangen schmeckten himmlisch. Manch einer erlebte aber auch eine herbe Enttäuschung, nachdem er die Schale einer Banane nicht entfernt hatte. So etwas hatten die Kinder vorher noch nie gesehen. Bei der Jause wurden wir von Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes und Betreuerinnen der Auxilio Social unterstützt, die von den österreichischen Kindern hellauf begeistert waren. Nach dieser Stärkung ging es in einem spanischen Zug, der uns nach Pamplona bringen sollte, weiter.
Eine allgemeine Müdigkeit macht sich breit, die Kinder auf allen Sitzplätzen schliefen todmüde ein. Uns Betreuer hatte man in bequemen Erste-Klasse-Waggons untergebracht. Welche Wonne, es sich in breiten und weichen Sitzen gemütlich zu machen, nach zwei Nächten ohne Schlaf und der Reise in der 3. Klasse mit ihren harten Holzbänken. Wir fühlten uns wie im Himmel.
Gegen 11 Uhr nachts fuhr der Zug, der uns direkt über spanisches Gebiet führen sollte, vom Bahnhof ab. Pamplona erreichten wir gegen drei Uhr früh des nächsten Tages. Pamplona; Hauptstadt der Navarra, Geburtsort von Sarasate. In einem Museum der Stadtverwaltung werden Reliquien, Objekte und Erinnerungsstück an diesen großen Geigenvirtuosen, der mit seiner magischen Kunst Emotionen der Musikwelt seiner Epoche zum Vibrieren brachte, ausgestellt. Am Bahnhof Pamplona wurden wir von einer Menschenmenge erwartet, obwohl es an diesem frühen Morgen noch sehr kalt war. Aber weder wir Erwachsenen noch die Kinder nahmen die Kälte wahr, wir sahen nur die vielen fremden Gesichter. Die Kinder wurden in Reihen aufgeteilt und zu bereitstehenden Bussen geführt, wir Erwachsenen wurden mit Autos zum Hogar Santa Maria la Real gefahren, wo die Kinder fürs erste untergebracht wurden. Als wir zum Heim kamen, ein riesiges Gebäude modernster Bauart, kam es uns wie ein Märchenschloss vor. In der morgendlichen Dunkelheit glänzten unzählige hell erleuchtete Fenster, die uns den Weg wiesen. Viele Kristallluster im Inneren des Gebäudes verteilten ihr Licht verschwenderisch, welches vom weißen Marmor des Bodens, schweren Säulen und der Hauptstiege reflektiert wurde. Groß und Klein wurden mit offenen Armen empfangen, mit Worten voll Liebe und einem Lächeln auf den Lippen der Direktorin, unserer sympathischen Manolita, die in der Zukunft eine der aktivsten Mitarbeiterinnen werden sollte, selbstlos in den Aufgaben.

Die Betreuer und die spanischen Familien, die gekommen waren, um die österreichischen Kinder zu empfangen, brachen bei deren Anblick in Entzückungsrufe aus: Oh! Engelchen! Meiner Seele! Schau dieses an, was für ein drolliges Kind! Wie blond sie sind!
Die Spanier haben ein großes Herz, ein unglaublich großes Herz, wie uns eine Frau aus Zaragoza einmal bestätigte, und dieses große Herz bewirkte, dass alle voller Mitleid mit diesen armen Kreaturen, Opfer des Krieges und des Hungers, waren. Sie alle boten ihre Hilfe und Unterstützung an.
Die Kinder wurden in den 40 vorhandenen Schlafräumen, verteilt auf die beiden Etagen des imposanten Gebäudes, untergebracht. In viele Räume gelangte man über lange Gänge, vorbei an kleinen reizenden Sälen, eingerichtet mit dem für die Epoche Philipp II typischen Mobiliars, alles in erstklassigem Zustand, Luxus ohne Gleichen. Weiters gab es große Speisesäle, Büros, Ordinationen für Ärzte und Zahnärzte, viele weitere Zimmer und andere Räumlichkeiten. Alles war neu und sauber. Wir waren wohl die ersten Gäste seit der Eröffnung des Gebäudes. Die spanische Regierung hatte es beauftragt, um verlassene Kinder und Waisen zu beherbergen.

Anlässlich einer Spanienreise von Pater Balzen äußerte dieser nach der Besichtigung dieses Wunders als Werk und Einrichtung: “Gerne würde ich mir das Ganze in meinem Geldbörsel mit nach Österreich nehmen.” Es war das größte Lob, das er aussprechen konnte. Hatte er auf seinen Reisen durch Europa, weiten Teilen Amerikas und Kanadas doch kein so perfektes und prächtiges Haus jemals gesehen.
Irgendwann stellt sich heraus, dass sich die Kinder in Briefen an ihre Eltern über die Herberge beschwerten, dass sie ihnen nicht gefalle und sie nur zähneknirschend hier ausharren. Hatten sie sich doch – aus verständlichen Gründen – für die Dauer ihres Aufenthaltes in diesem Haus einer mehr oder weniger strengen Disziplin zu fügen und sahen keine Freiheiten für sich.
Dafür darf man die Kinder aber nicht bestrafen. Aber letztlich fand alles seine Ordnung und nach zwei Wochen durfte eine erste Gruppe von über 100 Burschen mit Begleiterin, einer Kollegin und mir nach Santander fahren. In der Betreuung wurden wir von einigen Damen der Acción Catolica unterstützt. Die Erwartungen der Kinder hatten sich etwas gelegt, aber nicht gering waren die Ungeduld und Neugierde der spanischen Familien, die die Kinder erwarteten.

Nach einer fast 2-stündigen langen Reise erreichten wir nach der Überquerung des Bergpasses die Region Santander. In der Station Reinosa, aber auch in vielen anderen Stationen, hatten sich hunderte Leute eingefunden, begierig, die “armen Lausbuben” zu sehen. Viele dieser guten Menschen empfanden so viel Mitleid mit den österreichischen Kindern, dass sie Tränen vergossen. An vielen Stationen wurden die Kinder mit einer Unmenge von Süßigkeiten, Keksen und Karamell bewirtet. Viele von ihnen klagten danach über eine beachtliche Magenverstimmung.
Um 12 Uhr mittags hätten wir in Santander ankommen sollen, tatsächlich trafen wir jedoch mit der üblichen Verspätung von zwei Stunden hier ein.
Am Bahnsteig hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, ebenso vor der Station und der Bahnhofsrampe, welche sich dahinter befand. Ich vermute, dass sich halb Santander auf die Beine gemacht hatte, um mit bewundernswerter Geduld auf die Ankunft der österreichischen Buben zu warten.
Es waren Begeisterungs- und Hoch-Rufe zu hören als der Zug endlich in den Bahnhof einfuhr. Wir konnten gerade noch aussteigen und uns formieren, um zum Platz zu belangen. Was für ein Menschenauflauf und was für eine Begeisterung! Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich mehr Leute mit größeren Erwartungen versammelt hätten, wären der Kaiser von China oder irgendein berühmter Star angekommen.
Zur genauen Betrachtung unserer Umgebung blieb kaum Zeit, die Kinder stiegen wieder in Busse, wir Erwachsenen in Autos und im Nu kamen wir bei der Kirche an. Hier erwartete uns schon der Bischof, der einige innige Worte an uns richtete und das Salve sang.

Anschließend fuhren wir alle in das Hotel Roma, eine der größten Hotelanlagen nahe dem Saridinero, dem bevorzugten Strand der Spanier. In solchen Fällen erfolgen Entscheidungen meist sehr überstürzt und es bleibt daher keine Zeit, sich mit anderen Bekannten und Kolleginnen zu treffen. Im herrschenden Gedränge hatten wir die Autos verloren, bzw., was uns logischer erschien, hatten sich die Fahrer mit anderen Fahrgästen auf und davon gemacht. Trotz dieser Bedrängnis gelang es, dass wir uns auf den Weg zum nächsten Ziel machen konnten. Wir wurden schon erwartet und in einem Speisesaal, der sich in einem großen Festsaal verwandelt hatte, saßen wir dann an unzähligen Tischen. Ich durfte neben dem Bürgermeister und einer Autorität des Militärs Platz nehmen. Sogleich wurde begonnen, Speisen aufzutragen, die ein Geschmackserlebnis für unsere Gaumen waren. Nach den langen Kriegsjahren und vielen Entbehrungen hatten wir die Vorstellung derartiger Gaumenfreuden schon verloren. Nach Hunger und Einschränkungen erschien uns diese Art als Schlaraffenland.
Die Santanderianer überschlugen sich bei der Bewirtung unserer Kleinen. Konditoreien, Fleischhauer, Confiserien... alle hatten ihren Beitrag zum Festmahl geleistet. In einer Ecke des Saales spielte ein Orchester Wiener Musik, „An der schönen blauen Donau“ und viele andere Walzer. Es regierte eine unbeschreibliche Lebhaftigkeit. Wir diskutierten unter Zuhilfenahme der Hände, die Herren waren begierig zu erfahren, wie es uns während des Krieges ergangen wäre und viele andere Fragen schwirrten auf uns ein.

Als das Festmahl beendet war, verabschiedeten sich die Gäste. Es blieben nur jene zurück, die sich um die Verteilung der österreichischen Kinder an die spanischen Familien zu kümmern hatten. 125 Kinder! Stellen sie sich das vor! Es gab eine Menge Arbeit und Geschrei, bis jedes Kind “seiner” Familie zugeteilt war. Einige Familien waren von weit her angereist, sie konnten und wollten nicht warten, bis sie an die Reihe kamen. Sie befürchteten den Zug zu verpassen, der sie zurück in ihr Dorf bringen sollte. Wir mühten uns ab, den Kindern die Anhänger mit ihren Namen und wichtigen Daten abzunehmen. Dies war eine Vorsichtsmaßnahme, damit niemand verloren ginge oder es zu Verwechslungen käme.
Es wurde diskutiert, es gab Diskussionen zwischen den spanischen Familien und den Herren des Ausschusses und es wurden endlose Fragen gestellt. Die eine oder andere Situation erinnerte mich an eine öffentliche Versteigerung. Von Minute zu Minute wurde der Lärm betäubender und der ganze Saal dröhnte. Der Direktor des Ausschusses wusste sich oft nicht anders zu helfen als auf einen Stuhl zu steigen und mit lauter Stimme gegen den Lärm und das Durcheinander anzukämpfen. Das Chaos dauerte geschlagene sieben Stunden! Sieben endlos lange Stunden! Während der ganzen Zeit wurde von den versammelten Personen geschrien, gebrüllt, diskutiert und gegenseitig versucht, sich zu überzeugen. Um Mitternacht war die Aufteilung der Kinder an die Familien endlich erfolgreich beendet. Wir waren alle todmüde, wie Soldaten nach einer gewonnenen Schlacht. Was für ein Temperament diese Leute hatten!

Viele Kinder waren schon Stunden vorher total übermüdet eingeschlafen, an ihre Rucksäcke gekuschelt und in grotesken Stellungen. Sie konnten nicht mehr und es war höchste Zeit, dass alle zur Ruhe kamen. Meine Kolleginnen und ich begaben uns in das uns zugewiesene Hotel.
Noch kann ich nicht verstehen wie es uns möglich war, die vielen Strapazen und anstrengenden Stunden zu überstehen. Nach einem besonders opulenten Mahl schliefen wir glückselig ein. Der erste Tag unserer Aufgabe war beendet.

Die Kinder kamen 1949 nach einer langen Reise in ein „Spanien“, welches gerade im Begriff war, den Wiederaufbau nach den Wirren des Bürgerkrieges in Angriff zu nehmen und zu finalisieren.
Zehn Jahre nach Ende des Bürgerkrieges galt es auch die Ketten der Isolation Spaniens zu sprengen, die durch das Franco-Regime entstanden waren. Spanien war im Jahre 1949 auch ein Land, wo Armut und Hunger präsent waren.
So erinnern sich die Kinder an Frauen mit Säuglingen in ihren Armen oder mit Kleinkinder, die an Haustüren um etwas Brot baten.
Und trotzdem gelang es Organisationen, wie Acción Católica, mit ihren Aufrufen Pflegefamilien für bedürftige österreichische und deutsche Kinder zu finden. Mitunter unter Einsatz der lokalen Presse wie nachstehender Zeitungsartikel zeigt:

Als der erste Transport in Port-Bou ankam wurden die Kinder von der Bevölkerung trotz der späten Stunde freudig begrüßt und mit Essen und Trinken empfangen. So begann für die Kinder das „Abenteuer Spanien“, beginnend mit einer für sie fremden Sprache bis hin zu ihnen unbekanntem Obst wie Orangen.
Natürlich wussten sie damals nicht, dass man sie zuerst schälen musste. Die Kinder wurden liebevoll von ihren Pflegefamilien aufgenommen und umsorgt. In vollen Zügen genossen sie die Freiheiten, die ihnen in Österreich verwehrt waren.
Und so sogen sie Spanien mit all ihren Sinnen auf – Farben, Gerüche, Geschmäcker, Sprache und Traditionen. Doch auch dieses Abenteuer ging zu Ende und reich beschenkt traten sie unter Tränen in den Augen die Heimreise an.

„Tränen bei der Abfahrt und Tränen bei der Rückkehr“, wie es ein Spanienkind treffend ausdrückt.
Zurück in Österreich mussten sie sich wieder an ihr „altes“ neues Leben anpassen. Auch wenn viele Kinder ihre Spanisch-Kenntnisse vergaßen, bleiben bis heute ihr Spanien, die Familien und ihre Erlebnisse unvergessen.












Elias Jimenez
Seit Juli 1965 lebe ich in Österreich und im Laufe dieser Jahre bin ich Österreicherinnen und Österreichern begegnet, welche, als sie erfuhren, dass ich Spanier bin, mir spontan und mit großer Begeisterung von ihrem Aufenthalt in Spanien, während ihrer Kindheit, in den Jahren 1949 und 1950, erzählten.
Einige unter ihnen sprachen noch sehr gut spanisch, andere hatten es bereits vergessen. Während einige noch Kontakt zu den spanischen Familien, wo sie für eine bestimmte Zeit aufgenommen worden waren, haben, haben andere den Kontakt verloren, möchten ihn aber wieder herstellen.
Öfters hatte ich den Gedanken, diese Österreicher zusammenzubringen, um ihre Beziehungen zu den spanischen Familien wieder herzustellen bzw. zu intensivieren.
Ich sprach mit verschiedenen Leuten darüber und schrieb unter anderem auch die spanische Botschaft in Wien an, erhielt jedoch keinerlei Antwort oder nur negative Äußerungen, denn es schien ein undurchführbares Unternehmen zu sein.
Dazu kam noch, dass nicht einmal eine Namensliste dieser Personen zu bekommen war, und selbst wenn man sie bekommen hätte, wäre sie ziemlich unbrauchbar gewesen, da sich in der Zwischenzeit die Adressen änderten und bei den Frauen auch die Namen, aufgrund ihrer Heirat.

Im Februar 1979 schrieb ich die Tageszeitung "Kurier" an und diese veröffentlichte am 20. März den ersten Artikel über mein Vorhaben. Als Kontaktadresse gab ich die des spanischen Kulturinstitutes in Wien an. Gleichzeitig wurde in einigen Tageszeitungen Spaniens über mein Projekt geschrieben und auch aus Spanien kamen viele Briefe, einige davon mit der Bitte um Auskunft über ein bestimmtes Kind, wobei es mir gelang, einige dieser Fälle positiv zu beantworten.

Bei der Erfassung von Namen und Adressen ergab sich eine Kettenreaktion: beinahe jede Person kannte irgendjemanden, der damals in Spanien gewesen war. Nach zwei Versammlungen mit zahlreichen Teilnehmern in den Räumlichkeiten des spanischen Kulturinstitutes wurde die Gründung eines Vereines beschlossen und im Sommer 1980 ein Treffen ("Encuentro") in Madrid mit den spanischen Familien vereinbart. Der Verein wurde angemeldet und gegründet und nun sind wir dabei, die große Reise nach Madrid zu organisieren. Da einige hundert Personen teilenehmen möchten, sind die Vorbereitungen ziemlich langwierig.

Im ORF wurde zweimal über unser Verein und sein Vorhaben berichtet und in den Tageszeitungen erschienen einige Artikel. Das menschliche Potential unseres Projektes ist von großer Bedeutung und wir möchten unser geplantes Treffen in Madrid so großartig wie möglich gestalten. Zum gegebenen Zeitpunkt möchten wir das Interesse der öffentlichen Stellen in Madrid sowie der dortigen Massenmedien auf unser geplantes Treffen mit den spanischen Familien im Sommer 1980 lenken und gleichzeitig um Unterstützung für die Gestaltung des Programmes bitten.

Wenn es uns gelingen würde, unter anderem, das Interesse des österreichischen Fernsehens und des spanischen Fernsehens für dieses Treffen zu gewinnen, könnte dieses Ereignis eine unheimlich positive Wirkung auf die menschliche Beziehungen zwischen Österreich und Spanien bedeuten. Für Ende Januar 1980 hat die Austrian Airlines in Madrid eine Reise für eine kleine Gruppe spanischer "Pflegeeltern" nach Wien organisiert. Wir werden uns an der Programmgestaltung in Wien beteiligen.